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Pizza essen im Fastfood-Restaurant: Mitt Romney sucht im Wahlkampf die Nähe der Bevölkerung, er will beweisen, dass er nicht so abgehoben ist, wie ihn viele seiner Kritiker beschreiben.

Foto: dapd/Krupa

"Mein Gott, ist das Ding schwer!" Ächzend geht der Kandidat in die Knie, scheinbar überrascht vom Gewicht eines dicken, sehr dicken Aktenordners. Eben hat ihm eine wasserstoffblondierte Ärztin namens Betsy McCoy die Dokumentensammlung mit so düsterem Blick überreicht, als ginge es um die Pamphlete Al-Kaidas. In Wahrheit ist es das Gesetz zur Gesundheitsreform, vor knapp zwei Jahren durchgesetzt vom Weißen Haus. "Die reinste Papierverschwendung!", ruft der Kandidat und reicht den Ordner schnell weiter an einen herbeigeeilten Assistenten, wobei seine Miene blankes Entsetzen verrät.

Was für ein Verstellungsakt! Denn noch bevor Barack Obama die allgemeine Pflicht zur Krankenversicherung in Angriff nehmen konnte, hatte Mitt Romney sie bereits durchgesetzt - allerdings im Kleinen, im Bundesstaat Massachusetts. Dort, im liberalen Milieu der Bildungsmetropole Boston, regierte er von 2003 bis 2007 als Gouverneur - ziemlich flexibel, politisch mehr oder weniger in der Mitte.

Zu seinem Pech denken die meisten Republikaner heute ähnlich wie McCoy, die Tea-Party-Anhängerin, die Obamas Gesundheitsnovelle als verhängnisvollen Schritt hin zum Sozialismus verdammt. Und Romney will republikanischer Präsidentschaftskandidat werden, Spitzenmann einer nach rechts gerückten Partei.

"Meine Reform passte damals auf zwanzig Seiten", verteidigt er sich. "Für Massachusetts war sie richtig, für ganz Amerika wäre sie sicher das Falsche gewesen." Dann spricht er vom bevormundenden Kindermädchenstaat nach europäischem Muster - angeblich Obamas Ideal. McCoy nickt so heftig, als hörte sie die Worte zum ersten Mal, dabei gehören sie auch hier in Hudson (New Hampshire) zum Standardrepertoire des Kandidaten - genau wie der trotzige Song Born Free von Kid Rock.

Believe in America (An Amerika glauben) steht auf den Postern - es soll nach Ronald Reagan klingen, dem nostalgisch verklärten Übervater der Konservativen. Das Durchschnittsalter im Saal liegt bei fast 60 Jahren.

Romney (64) hat wohl von allen konservativen Anwärtern die besten Chancen, Obama das Amt abzunehmen, bei den schwankenden Wählern der Mitte zu punkten. Die Frage ist, ob er die parteiinterne Vorausscheidung übersteht. Seine Gegner porträtieren ihn gern als notorischen Wendehals. Früher war er für strengere Klimagesetze, heute ist er dagegen. Früher befürwortete er das Recht auf Abtreibung, heute lehnt er es ab. Einerseits hält er nichts von einem Fahrplan für den Abzug aus Afghanistan, weil die US-Armee am Hindukusch bleiben soll, "bis der Job erledigt ist". Andererseits betont er, dass Amerika nicht die Kämpfe einer anderen Nation kämpfen werde, was man durchaus als Rückzugssignal verstehen kann.

"Meine Spezialität ist es, Probleme zu lösen", sagt Romney. "Ich bin keine Kreatur Washingtons, ich bin ein Mann der Wirtschaft." Als Nächstes erzählt er, wie spartanisch er seine Jugendjahre verbrachte, damals in Frankreich, wohin ihn seine Mormonenkirche zum Missionieren geschickt hatte.

Es ist ein Versuch, ein Image loszuwerden. Das Image eines Verwöhnten, der das wahre Leben nicht kennt, sondern nur dessen Sonnenseiten. Romneys Vater George war Autokonzernchef und Gouverneur von Michigan. Er selber scheffelte ein Vermögen, als er Bain Capital führte, eine Investmentgesellschaft, die Industriekonglomerate aufkaufte, in Einzelteile aufspaltete, manche Betriebe bankrottgehen ließ und andere rank und schlank zum Erfolg führte - das alles mit satten Gewinnen. Newt Gingrich, Romneys härtester Konkurrent, kritisiert ihn dafür: Der liebe Parteifreund, giftete er, möge doch bitte all das Geld zurückzahlen, das er verdiente, indem er damals massenhaft Leute entließ. (DER STANDARD Printausgabe 28.12.2011)